Wilhelm Josef Sebastian MdB: Brief aus Berlin — Rhein-Zeitung Juni 2007
Über eine gesetzliche Verankerung der Patientenverfügung ist bereits in der letzten Wahlperiode diskutiert worden. Zu einem förmlichen Gesetzgebungsverfahren kam es dann wegen der vorzeitigen Auflösung des 15. Deutschen Bundestages nicht mehr. Im Koalitionsvertrag haben die Koalitionspartner deshalb vorgeschlagen, die Diskussion über eine gesetzliche Absicherung der Patientenverfügung fortzuführen und abzuschließen. Am 29. März 2007 fand eine Orientierungsdebatte zum Thema Patientenverfügung statt. Sie machte deutlich, dass die beiden bis dahin in der Öffentlichkeit bekannten Gesetzentwürfe nicht die gesamte Bandbreite an Auffassungen und Überzeugungen abdecken. Etliche Debattenredner vertraten eine dritte Lösung, die das Ziel anstrebt, der Individualität der hochkomplexen Situationen am Lebensende gerecht zu werden. Deshalb liegt jetzt ein neuer Gesetzentwurf vor, der diesen dritten Weg und die Haltung dieser Gruppe von Abgeordneten widerspiegeln soll. Der Entwurf befindet sich darüber hinaus weitgehend in Übereinstimmung mit der Haltung der Bundesärztekammer. Demnach wird die gesetzliche Regelung nur das absolut Unerlässliche regeln und so gewährleisten, dass jeder Einzelfall individuell behandelt werden kann. Die Vielfalt der denkbaren Situationen im Sterben lässt sich nicht bis ins Detail regeln. Wir brauchen daher eine unkomplizierte und unbürokratische Regelung, die sich an der heutigen Praxis orientiert und im Klinikalltag bewährt. Grundsätzlich gehen wir von einem ethischen Verhalten der Ärzte aus. Es ist daher nicht erforderlich, diese regelhaft durch Dritte zu kontrollieren. Es geht hier ausdrücklich nicht um eine parteipolitisch relevante Frage. Es handelt sich bei diesem Thema um eine Gewissensentscheidung, die sich ausschließlich an persönlichen Überzeugungen orientiert. Daher werben wir auch für eine fraktionsübergreifende Zustimmung. Der neue, schlanke Gesetzentwurf hat folgende Schwerpunkte: 1. Die Patientenverfügung ist grundsätzlich verbindlich. Sowohl der ausdrücklich erklärte als auch der zu ermittelnde mutmaßliche Wille des Patienten wirkt fort, wenn der Patient nicht mehr einwilligungsfähig ist. 2. Auch wenn eine Patientenverfügung vorliegt, erfolgt immer eine individuelle Ermittlung der aktuellen Situation des Patientenwillens. Dabei werden z. B. die aktuellen Begleitumstände, der Stand der medizinischen Entwicklung oder weitere geeignete Kriterien berücksichtigt. 3. Sind sich der Arzt, der die Behandlung fortführen möchte, und der Bevollmächtigte, der die Umsetzung der Patientenverfügung fordert, nicht einig, ist das Vormundschaftsgericht einzuschalten. Dieses stellt fest, ob der Wille des Patienten richtig ermittelt wurde. 4. Bestimmte Abläufe im gerichtlichen Verfahren beim Vormundschaftsgericht werden geregelt. Der Gesetzenwurf basiert auf der christlichen Überzeugung, dass Sterben ein Prozess der individuellen Einsicht jedes Patienten ist, sich gegen den Tod nicht mehr zu wehren, sondern das Sterben zuzulassen. Das ist eine logische Konsequenz unseres christlichen Menschenbildes. Leben und Sterben der Menschen liegen nach christlichem Verständnis in Gottes Hand. Das heißt aber nicht, dass Menschen im Blick auf den Tod nicht handeln dürften. Es zeichnet den Menschen aus, dass er auch dazu bestimmt ist, sein Sterben zu bedenken und zu gestalten.